Montag, 22. Februar 2010

Mehr Gegenseitigkeit statt mehr Wettbewerb

Ernst Dorfner


Die derzeitige Wirtschaftstkrise, ausgelöst durch die Krise auf den Finanzmärkten, macht es noch deutlicher: Der Kapitalismus ist die Wirtspflanze des modernen Sozialstaates. Oder sarkastisch umgekehrt: Der Sozialstaat ist bemüht, die Lebenssäfte des kapitalistischen Baumes anzuzapfen, daran teilzuhaben. Es gilt: Dem Sozialstaat geht es nur dann gut, wenn es auch der kapitalistischen Wirtschaft gut geht. Politische Aussagen schwanken daher zwischen Worten, die auf der einen Seite aus dem Erkennen der pragmatisch unausweichlichen Zusammenhänge folgen, und auf der anderen Seite mit Worten, mit welchen die breite Volksmeinung -Stichwort "Bankensteuer" - erreicht werden kann. Was nun aber wirklich auf uns zukommt, liegt vollkommen im Dunklen, wie der Fall „Griechenland“ drastisch zeigt. Eben waren die Staaten noch der last ressort of credit, und schon hat sich auch das Vertrauen in den Staat als letzte Zufluchtsburg aufgelöst. Für die Politiker gilt, „denn sie wissen nicht, was sie tun“. Deshalb ist es umso dringlicher, auf der einen Seite die Gesundung unserer Geldwirtschaft auch dadurch zu unterstützen, dass der Sozialstaat – der ja eine Erfindung nicht der Sozialdemokratie, sondern des Konservativen Otto Bismarck ist - selbst „Luftwurzeln“ entwickelt, welche die "not"wendige Alimentierung durch die schwächelnde Kredit- und Geldwirtschaft zumindest verringern. Und im worst case unser ganzes Gemeinwesen zumindest nicht in den tiefen Abgrund stürzen lassen.
Ich greife hier auf einen Beitrag aus dem Jahr 1999 zurück, der an Aktualität – ganz im Gegenteil - nichts verloren hat.

21. Februar 2010



Mehr Gegenseitigkeit statt mehr Wettbewerb
Neue Ziele der gesellschaftlichen Strukturpolitik





Teil A.
1.
Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit Alternativen im Geldbereich - also mit dem, was als Talente-System, LETS, Tauschring, Zeittauschbörse bekannt ist. Dabei geht es nach deren Meinung darum, ein Defizit in unserer Geldordnung ‘von unten her’ zu überwinden. Dieses sieht sie im Liquiditätsvorteil des Geldes, welcher es dem Besitzer von nicht zum Konsum benötigtem Geld ermöglicht, den Zins zu erzwingen.

So zahlreich nun aber auch diese Initiativen sind, so bleiben sie doch überall in ihrer Aktivitätsgröße und -radius sehr beschränkt.
Warum?

2.
Die Initiativen verweisen gerne auf den Zinsanteil in den Preisen. Sie berufen sich dabei gerne auf Ziffern von Helmut Creutz: Anteil der Kapitalverzinsung an der Müllabfuhr: 12 Prozent; am Trinkwasserpreis: 38 Prozent, an der Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau: 77 Prozent.

Dabei sollte auffallen, dass es sich bei obigen Waren und Leistungen um solche handelt, die ohne mittel- bis langfristig abschreibbare Investitionen gar nicht angeboten werden könnten.
Vergleichen wir damit das, was die Mitglieder von Tauschringen ihn ihren Marktzeitung ankündigen, dann sehen wir, dass es sich dabei nahezu durchgängig um Angebote und Nachfragen von und nach spontanen persönlichen Dienstleistungen, persönlichen Handreichungen, handelt. Was sich jedoch nicht findet, sind etwa Angebote von Wohnungen, oder allgemeiner, von Waren und Leistungen, die aus Investitionen hervorgehen.

Teil B.
3.
Hier muss nun klar werden, dass der Herstellung dieser Waren und Leistungen vorauseilend die Investition von eigenem und fremdem Geld erfordert. So investiert der Fabrikant in Einrichtungen, Vormaterialien, der Kaufmann in Verkaufs- und Lagerräume sowie in auf Lager gelegte Waren.
All das Angeschaffte - das Realvermögen - bildet sich auf der Aktiv- oder Vermögensseite der Unternehmensbilanz ab, während das Geld, das investiert wurde, sich auf der Passiv- oder Forderungsseite als Eigen - und Fremdkapital findet.
Verkürzt können wir das, was auf der Forderungsseite steht, als Schulden des Unternehmens bezeichnen. Diese Schulden beruhen zwar auf in ihrer Konsequenz unterschiedlichen Verträgen. Aber wie auch immer: Bei Abschluss dieser Verträge wird Geld hingegeben, solches aberspäter auch zurückgefordert. Ob Eigenmittel, ob Fremdmittel. Die Erfüllung der Forderungen geschieht in Geld.
Geld wird damit beim Kaufvorgang nicht einfach als Tauschmittel hingegeben - und geht dann bis zum nächsten Kauf in Wartestellung. Geld ist vor allem Schuldbegehungs- und Schuldtilgungsmittel. Die Schulden bestehen in der Zeit zwischen Begehung und Tilgung als genau definierte Menge.

4.
Auch die Lohnarbeit wird von Unternehmen vorfinanziert. Da also gewissermaßen die Lohnarbeiter auf Rechnung der Unternehmen kaufen, verkaufen und kaufen letztlich nur Unternehmen.
Das hat insofern große Bedeutung, weil damit die Lohnarbeiter jene Freiheit erlangen, die in dem Wort ”Stadtluft macht frei” zum Ausdruck kommt. Obwohl Lohnarbeiter schon vor Fertigstellung und Verkauf der Ware konsumieren können, sind sie niemanden etwas schuldig. Verschuldet haben sich an ihrer Stelle die Unternehmen.
Diese Freiheit wird aber auf der anderen Seite mit der Abhängigkeit von den Unternehmen erkauft.

5.
Diese Freiheit beinhaltet daher auch die vermeintliche Möglichkeit der Thesaurierung (Hortung) von Notenbankgeld bei den Nichtschuldnern. Die Rückführung dieses Geldes zu den Schuldnern, den Unternehmen, ist deshalb eine notwendige, jedoch eine Bedingung für ein Funktionieren der Geldwirtschaft, wie noch gezeigt wird.
Unternehmen horten jedoch normalerweise nicht, sondern reduzieren bei Liquiditätsüberschüssen ihre Fremdmittel, um sich die Zinszahlungen zu ersparen. Weiters wird vermittels Finanztransaktionen laufend Fremdkapital in Eigenkapital verwandelt, d.h. Geld nicht gehortet, sondern vernichtet. Der nötige Anreiz wird hierbei durch den steigenden Shareholder-value erzeugt.

6.
Damit richten wir unseren Blick auf die Unternehmen: Sie verschulden sich heute durch Kauf und entschulden sich morgen durch Verkauf. Dabei werden die ‘alten’ Schulden der Verkäufer durch ‘neue’ Schulden der Käufer ersetzt.

Damit aber entsteht stets ein Zeitvorgriff, der die Zukunft im Sinne der Vergangenheit vorherbestimmt. Geldschulden aus der Vergangenheit bedingen, dass in der Gegenwart wieder Geldschulden gemacht werden müssen, die in Zukunft wieder nur mit Geldschulden getilgt werden können.
Der industrielle Anbieter von Waren und Leistungen muss beim Verkauf seiner Waren Geld verlangen. Er muss dies tun, weil der Anbieter von Vorprodukten für die Tilgung seiner auf Geld lautenden Schulden eben Geld erwartet. Deshalb muss er als Käufer auch Schulden in Geld eingehen. Diese Schulden sind aber wieder nur in Geld abzulösen - und nicht in Talenten!

Diese zeitliche Verschränkung unserer Wirtschaft bewirkt somit, dass ein verinseltes Aussteigen aus diesem System sehr schwierig und nur in sehr speziellen Segmenten möglich ist.


7.
Die Schulden von gestern werden mit den Schulden von heute getilgt.
Das aber heißt auch, dass gesamtvolkswirtschaftlich die Menge der Verschuldung von heute mindestens so groß wie die Menge von gestern sein muss.
Da es dabei um etwas genau abzählbares geht, nämlich um eine bestimmte Menge ‘Geld’, gibt es einzelwirtschaftlich um eben dieses nachfragende Geld, das aus den neuen Schulden entspringt, einen Wettbewerb: Einen Wettbewerb um eine Menge m (1 + x), wobei x > 0 sein muss, um rechtlich das so vereinbarte wirtschaftliche Überleben zu sichern
Ist x < 0, kann die Verschuldung nur zum Nachteil des Eigenkapitals und damit der Verschuldungsfähigkeit aufgelöst werden.

8.
Gesamtvolkswirtschaftlich führt dies zu einem Nullsummenspiel, wenn die zeitlich folgende Verschuldungsmenge gegenüber der vorhergehenden nicht höher ist Nur wenn sie höher ist, entsteht jener Sicherheitspolster, der möglichst vielen Unternehmen ermöglicht, zumindest das wieder einzunehmen, was sie vorher ausgegeben haben .
Wirtschaften heißt ein Risiko mit der Zeit eingehen: ”Kann ich die gestern eingegangenen Schuldenmenge heute auch tilgen?” Dieser führt dazu, dass heute jeder möglichst viel Geld hereinbekommen will, um seine Schulden sicher tilgen zu können.

9.
Dieses Wechselspiel von Ver- und Entschuldung ist idealtypisch für die Rechtsperson ‘Unternehmen’, die alles, was sie kauft, auch wieder verkaufen will. Sie bringt durch Verschuldung (Wechselrediskontierung) Geld in Umlauf und zieht es durch Entschuldung wieder aus dem Umlauf

Auch das Geld, das der Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben benötigt, bringen Unternehmer in Umlauf.
Dieses Geld wird heute vorwiegend durch Steuern und Abgaben auf die menschliche Arbeitskraft hereingebracht.

Teil C
10.
Diese Art der Finanzierung des Staates führt dazu, dass - umgerechnet auf die Stunde - die Arbeitskosten und die Netto-Arbeitseinkommen immer weiter auseinanderklaffen. Unabhängig davon, ob hier etwas vorfinanziert wird, oder ob die geleistete Arbeit des einen unmittelbar zeitgleich mit der wertgleichen Arbeit des anderen erfolgt und nur ausgetauscht, aber in Geld bezahlt wird. Beide zahlen sich gegenseitig gewissermaßen einen Hunderter, doch müssen beide die darauf anfallenden Steuern und Abgaben zahlen.
Ein Beispiel: Zwei Arbeiter erhalten jeweils rd. 17.000 öS pro Monat auf die Hand. Kaufen sie sich ihre Leistung gegenseitig ab, so ergeben sich unter Einrechnung der MWSt Ankaufkosten von rd. 39.000 öS. D.h. jeder muss 2,3 Stunden arbeiten, um sich eine Arbeitsstunde des jeweils anderen leisten zu können. Unter Einrechnung des 13. und 14 Gehaltes sowie der bezahlten Nicht-Arbeitszeiten wird dieses Verhältnis noch weit ungünstiger.

11.
Allgemein ist festzustellen, dass reine Dienstleistungen immer teurer, während Neuprodukte immer preisgünstiger werden. D.h. das, wo keine oder nur sehr kurzfristige Vorfinanzierungen dahinter stehen, wird immer teurer, das aber, wo hohe und mittelfristige Investitionen notwendig sind, wird immer preisgünstiger. Viele Dienstleistungen werden erst mit dahinter stehenden Investitionen leistbar, weil solcherart die damit eingesetzte menschliche Arbeit rationalisiert, d.h. auf möglichst viele Leistungskonsumenten aufgeteilt wird. Das aber heißt, dass die Konsumenten sich nur das leisten können, wo Vorfinanzierung notwendig ist und damit Zinsen anfallen, und nicht das, wo es kaum Vorfinanzierung gibt und damit kaum Zinsen anfallen.

12.
Wie schon unter Punkt 2 gesagt, werden von den Tauschring- Mitgliedern fast durchgängig Leistungen angeboten, denen keine Investitionen zugrunde liegen, oder wo sie als Abschreibungen nicht berücksichtigt werden, weil diese ‘Investitionen’ als Konsumausgaben des Staates oder der Familien getätigt wurden. Da vorauseilend nicht investiert wurde, fallen auch keine Zinsen an.
Dort also, wo keine unternehmerischen Bilanzen erstellt werden, wo also ‘nur’ der gegenseitige, der zwischenmenschliche Austausch von Wissen und Können als wirtschaftliches Handeln gesehen wird, wo sich etwa die reine Handreichung beim Schreiben eines Textes gegen die reine Handreichung beim Pflegen des Gartens tauscht, dort finden sich auch die Inseln, wo ein Ausstieg aus dem Geldsystem möglich scheint.

Teil D
13.
Aus diesen Einsichten gilt es das Wesen der Geldwirtschaft zu erkennen, die gekennzeichnet ist
• durch immer umfassendere räumliche und zeitliche Verschränkungen und Bindungen, die sich als formalisierte geldvermittelte Ver- und Entschuldungsprozesse ausdrücken, die erst die logistischen Voraussetzungen für den ungeheuren technischen Fortschritt in der Ausbeutung der Natur schaffen,
• wodurch nicht formalisierte und damit unmittelbare Verhaltensweisen, wie Solidarität und Reziprozität, immer mehr aufgelöst werden. Personelle Beziehungen, die aus einer Ansammlung von Menschen erst so etwas wie ‘Gesellschaft’ formen, werden durch eine Sache, werden durch Geld ersetzt.

Geld erlöst vom Bemühen, sich jenes persönliche Vertrauen zu schaffen, das Voraussetzung ist, am gemeinsamen Tisch Platz nehmen zu dürfen. Es ermöglicht persönliche Unabhängigkeit vom anderen in ihrer ganzen Ambivalenz: ”Ich bin dir nichts schuldig, du bist mir nichts schuldig”. Es ermöglicht aber auch jene Zusammenführung der individuellen Kräfte, die technischen Fortschritt möglich machen.

14.
Mit dem Instrument ‘Geld’ kann der Mensch ökologische und soziale Begrenzungen niederreißen. Diese Entgrenzung macht den Wohlfahrtsstaat möglich, aber auch notwendig. Damit sind wir aber von diesem Geldsystem in doppelter Weise abhängig. Einmal weil Geld die bisherigen sozialen Strukturen in all ihrer Ambivalenz immer stärker auflöst, zum zweiten aber auch deshalb, weil dieser Wohlfahrtsstaat nur über Steuern und Abgaben, die derzeit vornehmlich auf der Arbeit lasten, zu dem für seine Finanzierung nötigen Geld kommt.

15.
Wenn nun die reinen Dienstleistungen, wie sie in Tauschringen angeboten werden, heute immer weniger ausgetauscht werden, so liegt dies offensichtlich daran, dass Arbeitskosten und Arbeitseinkommen nicht mehr in einer akzeptablen Relation liegen, und nicht so sehr an einem Systemfehler unserer Geldordnung,

Die einseitige Belastung der menschlichen Arbeit durch Steuern und Abgaben wird heute heftig diskutiert. Der als ‘ökosoziale Steuerreform’ apostrophierte Vorschlag ist jedoch allein nicht geeignet, sowohl die ökologische als auch die soziale Frage zu lösen. Der Verbrauch an Natur und Umwelt darf nicht ‘weggesteuert’ werden, solange er die Steuerbasis für die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates mit abgibt.
Soll dieser aber ‘weggesteuert’ werden, ist für den Sozialbereich eine andere Lösung zu suchen. Dabei ist zu bedenken, dass es gerade in Sozialbereich vielfach nicht um gnadenlose Rationalisierung, um Zeit-Effektivität geht, sondern um gegenseitige Zuwendung, Geduld, Zeit haben. Also um Gegenseitigkeit statt Wettbewerb.

16.
Es geht bei den Tauschringen nicht darum, ‘böses Geld’ durch ein ‘gutes Geld’ zu ersetzen. Auch Geld ist ambivalent. Für bestimmte Bereiche ist seine Logik nicht ersetzbar.
Es geht vielmehr um den Aufbau von einer zur Geldstruktur zusätzlichen Struktur, die sich für große Bereiche des Austausches von gegenseitiger Hilfe eignet, wie sie in weiten Bereichen des sozialen Zusammenlebens anfällt.
Tauschringe, Zeittauschklubs u. ähnliches mehr mögen hierfür einen ersten Ansatz bieten.

Da diese Ringe aber gerade dem Steuern- und Abgabenregime - und nicht dem Zinssystem -auszuweichen versuchen, geraten sie rasch in den Geruch der Schwarzarbeit. Deshalb ist von staatlicher Seite her eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen, die erlaubt, Sozialarbeit auch in dieser Form zu organisieren.

Es stellt sich die strukturpolitische Frage, ob nicht derartiges organisiert werden muss, um eine ökosoziale Lösung unserer Wirtschaft zu erreichen.

Ernst Dorfner
2008 überarbeiteter Text aus 1999

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