Mittwoch, 9. Dezember 2009

Der nicht-emanzipierte Staat und seine WIRTPFLANZE namens Kapitalismus


Ernst Dorfner


Vorbemerkung:

Ich habe den Beitrag Anfang 2008 geschrieben, also vor der großen Kapitalmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Aus der aber hat die Sozialdemokratie kaum etwas gelernt. Vielmehr hat sie mit ihrer Politik die unten beschriebene Abhängigkeit von der Wirtspflanze „Kapitalismus“ noch verdeutlicht.


Bei einer/m Fortschrittlichen, einer/m Linken, kommt sofort Widerspruch auf, wenn etwas Anti-Emanzipatorisches, Befürwortendes in Richtung alleinverdienenden Ehemann und von ihm abhängige Nur-Hausfrau antönt. Unabhängigkeit steht im gesellschaftlichen Ranking ganz oben, wenngleich wir in unserer modernen Gesellschaft in millionenfachen Abhängigkeiten leben.

Diese Abhängigkeiten scheinen aber aus unserer Wahrnehmung zu verschwinden. Dass all das so funktioniert, wie wir es heutzutage erwarten, vom Wasser und Strom für die morgendliche Toilette, dem halbwegs pünktlichen Öffi, der Tankstelle bis hin zum Internet, wird als Selbstverständlichkeiten betrachtet. Doch irgendjemand oder irgendetwas muss das doch koordinieren.

Der überzeugte Marktwirtschaftler wird hier nun sagen: das macht die unsichtbare Hand des Marktes. Mag sein. Aber dieser Markt funktioniert nicht ohne Geld. Es ist das Geld, das Geldeinkommen, welches uns alle veranlasst, uns den Forderungen der Wirtschaft zu unterwerfen und damit ihre Dynamik hervorzubringen. Es diszipliniert uns. Weil Geld nicht einfach, nicht von vorne herein da ist, sondern es erst von der kapitalistischen Wirtschaft vor allem als Lohneinkommen hervorgebracht werden muss. Weil es aber nicht schon immer da ist, kann es - das Geld – auch nicht einfach verteilt werden.

Wir leben in einer Kreditgeldwirtschaft. Das ist eigentlich unübersehbar. Wären die Volkswirte so wie die Betriebswirte Kaufleute und Buchhalter, müssten sie anhand der Statistiken, wie sie jeder Monatsbericht der Zentralbanken enthält, dies auch klar erkennen: Es gibt nur soviel Geld und Geldvermögen, wie es auf der anderen Seite der Bilanz an Schulden aus Krediten oder kreditähnlichen Verbindlichkeiten gibt. Geld muss zuvörderst von der Wirtschaft erst geschaffen werden. Eine Erkenntnis, die verbal so nicht vermittelt wird, sich nicht in den täglichen Aktivitäten von Wirtschaft und Politik abbildet.

Doch erst durch Aufnahme von Krediten, mit denen die Produktionen vorfinanziert werden, entsteht Geld. Es entsteht durch Verschuldung, so wie es durch Entschuldung wieder verschwindet. Und durch Neuverschuldung wieder neu entsteht. Dabei werden die Altschulden über Neuschulden getilgt, womit die Schuldensumme nicht reduziert wird - und wegen des Wachstums sogar steigen muss - , nur eine Wechsel in der Person der Schuldner erfolgt. Damit aber ist noch immer nicht das grundlegende Problem angesprochen, dass der Staat strukturell von der Wirtschaft abhängt. Nur dann, wenn die Unternehmen Geld ausgeben, also Löhne und Gehälter zahlen, Vorfabrikate, Rohstoffe und Einrichtungen zukaufen, ist eine Steuer- und Abgaben-Basis gegeben, die belastet werden kann. Erst durch die Dynamik der Wirtschaft entsteht Geld: Die Unternehmen müssen ja die Produktion vorfinanzieren und dafür selbst oder auch vermittels Dritter Kredite aufnehmen. Allem Geld und Geldvermögen stehen, wie überprüft werden kann, gleich hohe Kredit- und Kredit-ähnliche Schulden gegenüber (siehe dazu Monatsberichte der OeNB oder der Bundesbank).

Von vorneherein ist also Geld nicht vorhanden. Geldvermögen sind nicht Schatztruhen voll mit Euro-Scheinen, sondern Forderungen gegen Schuldner. Je mehr die Unternehmen Schulden machen, umso höher ist zwar das Vermögen, doch kann dieses nicht verteilt werden. Das Vermögen sind die Schulden anderer, die aber von den Schuldnern jetzt nicht beglichen werden können. Weil sie eben Schulden haben. Die Begleichung, die Tilgung der Schulden, geht nur längerfristig über die Amortisation.

Wenn die Schulden verschwinden, dann verschwindet auch das Vermögen. Wenn nun aber das Vermögen nicht verschwindet, dann heißt das, dass sich andere wieder neu verschulden müssen.

Natürlich kann sich auch der Staat verschulden. Die Frage ist aber, wieweit er in der Lage ist, seine Schulden zu tilgen. In der Tat ist dies die ganzen Jahre nicht erfolgt, sondern sind die Schulden immer weiter angehäuft worden. Diese Möglichkeit der Kreditaufnahme durch den Staat ist damit heute versperrt. Und sie ist für nicht-investive Maßnahmen, also für den Konsum, überhaupt verwehrt

Damit ergeben sich zwei Arten der Abhängigkeit des Staates und insbesondere des Sozialstaates von der kapitalistischen Wirtschaft:

  • eine finanzielle Abhängigkeit;
  • eine strukturelle Abhängigkeit

DIE FINANZIELLE ABHÄNGIGKEIT: DIE KAPITALISTISCHE WIRTSCHAFT ALS WIRTPFLANZE DES SOZIALSTAATES

In seinem Statement bei der Veranstaltung der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung der Diözese Linz “Arbeit für alle? – Gerechtigkeit für alle!“ im Dezember 2007, in der die Frage eines Grundeinkommens oder einer Grundsicherung diskutiert wurde, erinnerte Sozialminister Erwin Buchinger daran, dass der Sozialstaat heutiger Ausformung vor mehr als 100 Jahren nicht von der Arbeiterbewegung durchgesetzt wurde, sondern im Deutschen Reich vom konservativen Reichkanzler Otto von Bismarck. Dieser wollte damit den aufstrebenden Sozialdemokraten das Wasser für einen politischen Erfolg abgraben.

Erwin Buchinger betonte auch die Prämissen seiner Politik, die nicht von Idealen, sondern von Machbarkeit bestimmt sei. Und das heißt, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Wirtschaftssystem ein kapitalistisches ist.

Meine Wortmeldung bei dieser Veranstaltung versuche ich hier in prägnanter Kürze so wiederzugeben: Der Kapitalismus ist die Wirtpflanze des modernen Sozialstaates. Oder sarkastisch umgekehrt: Der Sozialstaat bemüht sich, die Lebenssäften des kapitalistischen Baum anzuzapfen, zu schmarotzen . Daher gilt: Dem Sozialstaat geht es nur dann gut, wenn es auch der kapitalistischen Wirtschaft gut geht. Das aber ist nicht so zwangsläufig: Auch wenn es der kapitalistischen Wirtschaft gut geht, muss es dem Sozialstaat noch nicht gut gehen. Der Wirtbaum lässt einzelne Äste und Zweige verdorren, auf dem sich die Gastpflanze angesiedelt hat.

Genau hier aber sind wir mit unserem Sozialstaat schon lange. Wenn es um „Arbeit für alle“ geht, dann müssen wir bemerken, dass die Art und Weise wie unser Sozialstaat finanziert wird, dazu führt, dass die Kosten der menschlichen Arbeit immer mehr in Diskrepanz kommen zum Arbeitseinkommen, das der Einzelne echt auf die Hand bekommt. Nahezu alle Steuern und Abgaben gehen ja in die Preise der Produkte und vor allem Leistungen ein. Alle diese Kosten müssen von den Unternehmungen vorfinanziert werden, wovon aber der Lohneinkommensbezieher nur einen Bruchteil erhält. Arbeitsleistung wird auf diese Weise immer weniger leistbar und dadurch auch nicht nachgefragt. Dramatisch wirkt sich das auf die Leistbarkeit insbesondere von Sozialdiensten aus, wie es in der Debatte um das Pflegegeld deutlich wird. Landesrat Josef Ackerl ist zuzustimmen, wenn er die Finanzierbarkeit der legalen Pflegearbeit nicht für möglich hält.

Diese Problematik ist bekannt, wird aber nur als Frage der Allokation gesehen. Eine entscheidend große Umschichtungen weg von der Arbeit hin zu anderen Steuer- und Abgaben-Tatbeständen muss aber an den realen Gegebenheiten scheitern. Eine weitaus höhere Besteuerung der eingesetzten Ressourcen und im Steuerausland zugekauften Vorfabrikate führt zu einer Abwanderung gerade dieser arbeitsextensiven Produktionen, welche die höhere Abgabenlast nun bringen sollten. Wird aber andererseits die Mehrwertsteuer massiv erhöht und dabei diese auf Arbeit fallen gelassen, wird wiederum eine Flucht der Konsumenten industrieller Produkte ins Steuerausland provoziert. In der Tat wären solche entscheidenden Umschichtungen in der Steuer- und Abgabenlast nur dann machbar, wenn sie zumindest EU-weit erfolgen.


DIE STRUKTURELLE ABHÄNGIGKEIT


Wenn wir erkennen, dass nicht nur unsere Wirtschaft, sondern die ganze Gesellschaft über Geld diszipliniert wird, so heißt das auch: Wer Geld hat, kann andere damit disziplinieren, in seinen Dienst stellen. Damit aber wird Geld jenes Etwas in unserer Gesellschaft, nach dem alles Streben zielt. Damit wird aber auch eine strukturelle Abhängigkeit des/der Einzelnen von dieser Kreditgeldwirtschaft geschaffen. Wer Geld verdienen oder aufnehmen will, muss sich dem Kapitalismus anpassen. Das Streben nach finanzieller Unabhängigkeit von Mitmenschen spielt dabei jenen Tendenzen in die Hände, die von den Linken als neoliberal bezeichnet werden. Es ist weitgehend das eigene Tun, und nicht so sehr die verschwörerische Kraft in der Wall Street.


Es gilt nur das als erstrebenswerte Arbeit, was Geldeinkommen bringt. Solidarität und Reziprozität wird so immer weiter zu Gunsten der Konzerne verdrängt, die ja einen möglichst großen Absatzmarkt brauchen.

Wenn nun aber Geld letztlich nur von der kapitalistischen Wirtschaft bereitgestellt wird, und wir nur mehr bereit sind, in Geld entlohnte Erwerbsarbeit zu leisten, dann geraten wir in eine immer größere Abhängigkeit von dieser Form der Wirtschaft. Ein emanzipatorischer Staat müsste nun aber trachten, mehr und mehr Unabhängigkeit wieder herzustellen. Heute aber zielt der Staat dem genau entgegen.

Damit aber ist noch immer nicht das grundlegende Problem angesprochen, dass der Staat strukturell von der Wirtschaft abhängt. Nur dann, wenn die Unternehmen Geld ausgeben, also Löhne und Gehälter zahlen, Vorfabrikate, Rohstoffe und Einrichtungen zukaufen, ist eine Steuer- und Abgaben-Basis gegeben, die belastet werden kann. Erst durch die Dynamik der Wirtschaft entsteht Geld: Die Unternehmen müssen ja die Produktion vorfinanzieren und dafür selbst oder auch vermittels Dritter Kredite aufnehmen. Allem Geld und Geldvermögen stehen, wie überprüft werden kann, gleich hohe Kredit- und Kredit-ähnliche Schulden gegenüber (siehe dazu Monatsberichte der OeNB oder der Bundesbank).

Von vorneherein ist Geld nicht vorhanden. Geldvermögen sind nicht Schatztruhen voll mit Euro-Scheinen, sondern Forderungen gegen Schuldner. Je mehr die Unternehmen Schulden machen, umso mehr ist zwar das Vermögen, doch kann dieses jetzt spontan nicht verteilt werden. Das Vermögen sind die Schulden anderer, die aber von den Schuldnern jetzt nicht beglichen werden können. Weil sie eben Schulden haben. Die Begleichung, die Tilgung der Schulden, geht nur längerfristig über die Amortisation.

Wenn so die Schulden verschwinden, dann verschwindet auch das Vermögen. Wenn nun aber das Vermögen nicht verschwindet, dann heißt das, dass sich andere wieder neu verschulden müssen.



www.ernst-dorfner-4.blogspot.com: „Die ganze Geldwirklichkeit existiert allein in den Büchern“

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